Ein Interview mit Ben
Hämophilie B besser verstehen
Hallo Ben, schön, dass du dir Zeit für unser Interview für unsere Liberate Life Community nimmst. Magst du dich einmal kurz vorstellen?
Ben: Hallo, vielen Dank für die Einladung. Mein Name ist Benjamin Wolf (kurz Ben) und ich bin Senior Producer bei einem Unternehmen für die Entwicklung von Computerspielen. Ich bin 31 Jahre alt und habe eine schwere Hämophilie B. Meine Hobbies sind Games, Lesen, Schwimmen, Sport, Reisen und Kochen.
Kannst du uns einen Einblick in deine Jugend und Kindheit mit Hämophilie B geben?
Ben: Als Kind und Jugendlicher war ich immer sehr aktiv und hatte, tatsächlich auch aus diesem Grund, wenig Probleme oder Blutungen. Ob Schwimmen, Tennis, Tischtennis oder auch einfach nur Sport mit Freunden auf dem Bolz-/Spielplatz, meine Muskulatur war gut genug ausgeprägt, um Verletzungen und Blutungen vorzubeugen und Bewegung war für mich genau die richtige Ergänzung zur Prophylaxe. Ein weiterer Pluspunkt war sicherlich auch das Engagement meiner Eltern, die Gründungsmitglieder der IGH waren. Dadurch hatten wir immer viel Kontakt und Austausch mit anderen Familien mit Hämophilie. Meiner Meinung nach hilft es immens sich mit anderen auszutauschen und über den Tellerrand zu schauen.
Und wie geht es dir heutzutage?
Ben: Mein Motto lautet: Ein starker Muskel stützt die Gelenke und hilft gegen Verletzungen. Konkret bedeutet das für mich mit Sport und gezieltem Muskelaufbau gegen Probleme wie schmerzende Gelenke anzukämpfen. Mein linkes Knie und Sprunggelenk machen mir hin und wieder Probleme, vor allem wenn ich meine persönliche Belastungsgrenze überschreite, eigentlich komme ich damit aber gut zurecht.
Wie ist deine Meinung zu den modernen Therapieoptionen, die dir in unserer heutigen Zeit zur Verfügung stehen?
Ben: Bei meiner Form der schweren Hämophilie ist die Restaktivität des Faktors sehr gering. Daher ist für mich die regelmäßige Prophylaxe das beste Mittel der Wahl. Generell gibt es verschiedene Medikamente mit unterschiedlichen Halbwertszeiten. Die Halbwertszeit gibt an, in welcher Zeit ein Wirkstoff zur Hälfte vom Körper abgebaut wird. Je länger die Halbwertszeit, desto länger verbleibt der Wirkstoff im Körper, und desto länger kann der Schutz andauern. Es gibt auch Patienten, die sich nur bei Bedarf spritzen, das heißt man spritzt nach einem Blutungsereignis. Das gilt allerdings nicht als Therapiestandard. Gemeinsam mit dem Arzt sollte man entscheiden, welche Therapie die beste Option ist. Ich habe schon als Kind an Ferienfreizeiten für Hämophile teilgenommen und dadurch früh erkannt, dass das Spritzen und auch Selbst- Spritzen, als eine Art Befreiung wahrgenommen werden kann. Auch wenn es als Kind oft nervig war zu substituieren, habe ich nie daran gedacht es nicht zu machen, da es mir so viele Möglichkeiten eröffnet hat (Bewegung, Spiel und Sport).
Woher beziehst du deine Informationen zur Hämophilie?
Ben: Ich bekomme viel mit durch meine Aktivitäten für die IGH oder wenn ich im Hämophilie- Zentrum bin. Die Vernetzung hilft nicht nur beim Erfahrungsaustausch, sondern auch um Neuigkeiten mitzubekommen wie zum Beispiel in der Digitalisierung. Ansonsten suche ich gezielt nach Themen im Internet oder lese passiv in Facebook-Gruppen oder schaue mir Youtube- Blogs an.
Wie äußern sich deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen Hämophilie A und B?
Ben: Für mich waren die Unterschiede nie ein großes Thema, daher habe ich mal ein paar Fakten recherchiert: Die Hämophilie Betroffenen haben entweder einen Mangel an Gerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A) oder einen Mangel an Gerinnungsfaktor IX (Hämophilie B). Die Hämophilie B ist die seltenere Variante. Davon ist nur einer von 30.000 Männern betroffen, während es bei der Hämophilie A einen von 5.000 Männern betrifft. Beide Varianten werden in Schweregrade unterteilt - leicht, mittelschwer oder schwer. Damit wird angegeben, wie viel Faktor-Restaktivität im Blut vorhanden ist. Bei einer schweren Hämophilie ist die Restaktivität des Faktors sehr gering und man sollte standardmäßig mit Prophylaxe mit Gerinnungsfaktoren therapieren.
Wie sieht deine persönliche Therapie aus und wie ist die Kommunikation mit deinem Arzt?
Ben: Meine Behandlung stimme ich individuell mit meinem Arzt ab. Im Hämophilie- Zentrum in Bonn bin ich bei einem sehr fortschrittlichen und pro-aktivem Zentrum sehr gut aufgehoben. Meine Ärzte sind immer gut für mich erreichbar. Das ist vor allem dann wichtig, wenn ich Unternehmungen wie eine Reise planen möchte. Über neue Faktorpräparate oder digitale Angebote für meine Therapie, wie zum Beispiel Apps zur Therapie- Dokumentation, werde ich eigentlich immer zeitnah informiert. So konnte ich an einer Test- Version für eine App zur digitalen Dokumentation teilnehmen und führe nun schon viele Jahre meine Dokumentation per App durch. Mit Hilfe der Apps kann ich den zeitlichen Aufwand minimieren, meinen aktuellen (geschätzten) Faktorspiegel einsehen und Blutungen und Schmerzen dokumentieren. Alles was ich eintrage, kann der Arzt im Zentrum einsehen und direkt in die Behandlung einfließen lassen.
Welche Herausforderungen begegnen dir?
Ben: Das Thema Rumreisen und dabei spontane Entscheidungen treffen zu können ist wohl die größte Herausforderung. Work & Travel wäre für mich zum Beispiel kompliziert. Ich muss meine Urlaube gut planen, dabei helfen mir Informationen wie: Wo sind Behandlungszentren? Wie und wo bekomme ich meinen Faktor? Habe ich alle wichtigen Dokumente wie eine Zollbescheinigung dabei?
Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Forschung in der Hämophilie neue medizinische Errungenschaften entwickelt, die das Leben für mich und kommende Generationen leichter macht und unsere Einschränkungen auf ein Minimum sinken lassen könnten. Langfristig erhoffe ich mir dadurch (auch wenn meine Substitution bereits gut eingestellt ist) eine Verbesserung der Versorgung und eine weitere Reduzierung der nötigen Frequenz des Spritzens.
Wo siehst du Aufklärungsbedarf in der Hämophilie- Community?
Ben: Es ist sicherlich nicht verkehrt, auf die Wichtigkeit von regelmäßigen Kontrollen hinzuweisen. Nur weil wir gerade in Deutschland eine sehr gute Versorgung haben, sollten wir unsere Hämophilie nie auf die leichte Schulter nehmen oder unnötige Risiken eingehen.
Hast du Tipps für andere Betroffene?
Ben: Schaut nicht immer auf das was nicht geht, sondern vielmehr auf das was geht. Es gibt viele interessant Sportarten z.B. Rudern oder Schwimmen. Sucht euch Hobbies und Berufe, in denen ihr trotz eventueller Einschränkungen aufgeht und die ihr gerne macht. Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen und motivieren, weil es gerade jüngeren Betroffenen und deren Angehörigen aufzeigt, wie weit wir schon mit den uns zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten gekommen sind, Stichwort Heimselbstbehandlung und verlängerte Halbwertszeit der Faktorpräparate. Diese Möglichkeiten hatten die älteren Generationen noch nicht.
Lieber Ben, danke für deine offenen Worte, deine Tipps und Einblicke in dein Leben mit Hämophilie B.
IGH-Mitgliedschaft
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Ben’s Engagement bei der IGH e.V.
Ben ist schon seit knapp 10 Jahren aktives Mitglied der IGH e.V. Uns hat er im Gespräch erzählt, wie es dazu kam und was man dort als Mitglied so alles erleben darf. Es hört sich für uns so an, als würde es sich definitiv lohnen, dabei zu sein.
Erfahrungsberichte: Hämophilie damals und heute
Früher war alles besser? Von wegen! Heutzutage kann man mit Hämophilie ein selbstbestimmtes und aufregendes Leben führen. Im Videobeitrag berichten Ulrich, Fuat und Moritz – drei Hämophilie-Patienten aus unterschiedlichen Generationen – von ihren Erfahrungen aus der Vergangenheit, vergleichen sie mit der Gegenwart und wagen einen Ausblick in die Zukunft.